Russisch-chinesische Beziehungen, Sri Lankas Wirtschaft, der Supreme Court und die Zukunft der US-Demokratie und Kuration im Netz
Diese Woche in der Grübelkiste: Ein Bericht über Asymmetrien in der Beziehung zwischen China und Russland, ein Einblick in die komplexen makroökonomischen Probleme von Sri Lanka, ein Text über die Ambitionen von US-Konservativen, zentrale demokratische Institutionen zu unterwandern und 100 Wörter (oder so) über Kuration im Internet.
Russland und China: Keine Partnerschaft auf Augenhöhe | Deutschlandfunk
Um was geht es?
China und Russland eint auf den ersten Blick mehr als sie trennt: Eine anti-westliche Außenpolitik, eine autoritäre Innenpolitik und – in Folge der russischen Ukraine-Invasion – eine zumindest augenscheinlich intensivierte Zusammenarbeit. Doch die Vorstellung zweier ebenbürtiger Partner im Kampf gegen den Westen ist trügerisch, sind doch die Einflussmöglichkeiten der chinesischen Volkswirtschaft auf dem asiatischen Kontinent um einiges umfangreicher als die Russlands, wie dieser Deutschlandfunk-Hintergrundbericht eindrücklich darstellt.
Was hängen blieb:
Es ist wichtig, sich diese Perspektive auf die russisch-chinesischen Beziehungen vor Augen zu führen, da in vielen aktuellen Debatten gerne mal die Tatsache untergeht, dass Russland für China kein gleichrangiger Bündnispartner gegen den Westen ist, sondern ein mehr oder weniger nützlicher Idiot, der zum einen als eurasische Knautschzone fungiert, und sich zum anderen immer stärker ökonomisch abhängig macht von chinesischen Preisvorgaben. Gleichzeitig zeigt sich beispielsweise an der chinesischen Belt and Road Initiative, die auch durch die Ukraine verläuft, an der Einhaltung westlicher Sanktionsvorgaben und am Versuch, ökonomischen Einfluss in postsowjetischen Ländern Zentralasiens zu gewinnen, das asynchrone Machtverhältnis zwischen China und Russland, sowie die unterschiedlichen Ziele der beiden Staaten.
Who Really Killed Sri Lanka’s Economy? | Money & Macro
Um was geht es?
Der Inselstaat Sri Lanka steckt in einer tiefen ökonomischen und politischen Krise. Auch nach den Massendemonstrationen der letzten Wochen, die im Rücktritt von Präsident Gotabaya Rajapaksa mündeten, herrscht immer noch Unzufriedenheit und Chaos. Was genau ist der Grund für Sri Lankas Misere und wer trägt die Schuld? Davon handelt dieses Video von Money & Macro, in dem die wirtschaftlichen Abhängigkeiten und politischen Fehlentscheidungen des Landes besprochen werden.
Was hängen blieb:
Über die komplexen makroökonomischen Netze der Globalisierung und ihre Schattenseiten wird im medialen Diskurs oft nur in stark verkürzter Form gesprochen. Der Fall Sri Lanka lässt sich somit nicht einfach als Folge schlechten Wirtschaftens oder globaler Schocks erklären; auch die hohe Verschuldung in Fremdwährung, die starke Importabhängigkeit, und die Erhöhung der Leitzinsen der US-amerikanischen Zentralbank sind essenzielle Gründe, die berücksichtigt werden müssen. Zwischen privaten westlichen Investitionen, die in Sri Lanka dem schnellen Profit im Immobilienmarkt hinterherjagten, und schlecht geplanten staatlichen chinesischen Krediten, die die Korruption im Land verstärkten, stellt sich zudem die Frage, ob eine größere monetäre Unabhängigkeit Sri Lankas nicht eine der Problemlösungen sein könnte.
Demokratie unter dem Hammer | Republik
Um was geht es?
Die Entscheidung des Supreme Courts, das Grundsatzurteil Roe v. Wade zu kippen und damit das Recht auf Abtreibung effektiv auf die Kompetenzen der einzelnen Bundesstaaten zurückzuführen, entfachte hitzige Debatten über die demokratische Verfasstheit der Vereinigten Staaten. Das Narrativ der gestohlenen Wahl und die zunehmende Nichtanerkennung gemeinsamer demokratischer Grundpfeiler des US-Föderalismus durch eine rechte Politik und Justiz verfolgen mehr und mehr das Ziel, die Legitimität des Volkswillens zu untergraben. Annika Brockschmidt wagt eine Prognose über anstehende Entscheidungen des Obersten Gerichts und ihre möglichen Auswirkungen.
Was hängen blieb:
Der Text beschäftigt sich zentral mit der sogenannten ‘Independent State Legislature Theory’; eine radikal konservative Idee, die darauf abzielt, Wahlgesetze und die Entsendung von Stimmberechtigten für die Wahl des US-Präsidenten der Entscheidungsgewalt der Legislativen der einzelnen US-Staaten zu überlassen. Dank Trumps Ernennung mehrerer konservativer Richter:innen und dem spürbaren Rechtsdrall der Konservativen im Land bergen derartige Abspaltungsversuche und Umgehungen der Mehrheitsmeinungen der Bevölkerung die immer größer werdende Gefahr, Opfer einer Elitenpolitik zu werden, an deren Spitze der Machterhalt einer weißen, wohlhabenden, männlichen und religiös radikalisierten Bevölkerungsschicht steht.
100 Wörter (oder so) über: Produktion und Kuration im Internet
Das Internet ist ein bisweilen zwiespältiger Ort: Zum einen schweißt es die Weltgemeinschaft in nie dagewesener Form zusammen, stellt beeindruckende Horte des Wissens zur Verfügung und fungiert als Sammelbecken für Ideen und soziale Bewegungen, die international Fuß fassen. Die radikale Parallelität jeglicher Inhalte und Emotionen, der ununterbrochene und gefühlt endlose Modus des Erlebens, zu dem ‘Content-Plattformen’ verleiten, führt auf der anderen Seite allerdings auch zu psychischer Überforderung und Unwohlsein am laufenden Band.
‘Content’, das ist für Medienhistorikerin Kate Eichhorn genau dieser ununterscheidbare Fluss an Inhalten, der irgendwann zum Selbstzweck wird, in dem die distinguierbaren Eigenschaften einzelner Content-Einheiten zunehmend verschwinden. Das Internet ist in vielerlei Hinsicht heute zur idealen Content-Maschine geworden, doch schuld daran ist nicht nur eine Gleichförmigkeit von Ideen, sondern auch die fehlende Übersicht. Content-Plattformen wie Streaming-Anbieter oder YouTube scheitern entweder an einer nachvollziehbaren Aufarbeitung und Evaluierung ihrer verfügbaren Inhalte, oder schicken ihre Nutzer:innen mit Hilfe undurchsichtiger Algorithmen durch abstruse rabbit holes, die nicht selten ins rechte Schwurblerparadies führen.
Der aus der Gleichförmigkeit geborene Warencharakter von Content führt zudem zu seiner exponentiellen Ausbreitung und tut sein Übriges, um weiter zur Produktion von Überforderung beizutragen. Die einzige nützliche Waffe gegen diese Phänomene der Überproduktion und Unübersichtlichkeit ist mehr Kuration und die Schaffung von Orten, die sich dem Wust der Ununterscheidbarkeit und radikalen Parallelität entgegenstellen. Kurationen, die nicht selbst wieder zur Content-Klickstrecke werden, sondern als vollkommene Inhalte, die über bloße algorithmische Zusammenstellungen hinausgehen, aus einer menschlich-empathischen Perspektive heraus sammeln, kontextualisieren und bewerten. Gerade im Kontext zunehmender Falschmeldungen mit politischer Sprengkraft und einer fehlenden Medienliteralität scheint die Nachfrage nach Einordnung und Übersichtlichkeit umso dringlicher.