Repolitisierung des Geldes, libertäre Privatstädte, Uploadfilter-News und der Plattformgedanke auf Twitch
Diese Woche in der Grübelkiste: Kritik und Repolitisierung der Geldordnung mit Aaron Sahr, Überblickswissen zu libertären Privatstadt-Projekten in Honduras und São Tomé und Príncipe, Neuigkeiten zur Umsetzung von Uploadfiltern in Folge der Urheberrechtsreform und 100 Wörter (oder so) zum Plattformgedanken auf Twitch.
Private Städte – exklusiv und antidemokratisch | Frankfurter Rundschau
Um was geht es?
Rechtslibertäre Privatstädte sind in gewisser Weise das radikalisierte Endprodukt des entkoppelten globalisierten Kapitalismus. Der Soziologie Andreas Kemper recherchiert schon seit Jahren über die Akteure und Netzwerke, die sich hinter den demokratie- und wohlfahrtsfeindlichen Projekten verbergen. Dieser Artikel aus der Frankfurter Rundschau bietet einen Überblick zu den Verfahrensweisen der Landnahme und den Problemen, die für die Einwohner:innen der meist politisch instabilen Staaten entstehen, die zum Ziel der libertären Projekte werden.
Was hängen blieb:
Am Beispiel von Honduras zeigt sich gut, wie die Planung von Privatstädten bereits jetzt Konflikte zwischen „Investoren“ und der Zivilgesellschaft schüren. Während die neu gewählte linke Regierung versucht, die Verfassungsänderungen rückgängig zu machen, die den Privatstadt-Jüngern Tür und Tor öffnen sollte, drohen nun internationale und undemokratische Schiedsgerichte, die wirtschaftlichen Interessen einzelner vor denen der Staatsbürger:innen zu stellen. Diese Projekte mögen in ihrer Megalomanie absurd und in letzter Instanz unrealistisch sein, doch schon jetzt lässt sich an ihnen gut die demokratiefeindliche Grundhaltung ablesen, mit denen ihre Durchsetzung vorangetrieben wird. Diese „Radikalisierung des Neoliberalismus“, wie sie im Text bezeichnet wird, zielt auf das Ende der Demokratie, der Wohlfahrt und des Wahlrechts. Mehr Berichterstattung über dieses Thema wäre daher wünschenswert.
Gibt’s jetzt Uploadfilter, oder nicht? | Ultralativ
Um was geht es?
Uploadfilter. Da war doch was? Nachdem August 2021 die Urheberrechtsreform und damit der umstrittene Artikel 17 in Deutschland in Kraft trat, wurde es erstaunlich ruhig um die ominösen Filter-Software und bis heute ist nicht vollständig klar, wie die reale Umsetzung des Urheberschutzes aussehen soll. Der Kanal Ultralativ nimmt sich dem Thema an und bietet ein aktuelles Bild der Lage.
Was hängen blieb:
Am meisten erstaunt hat mich, dass YouTube in Folge von Artikel 17 erstmals Daten zu ihrem Content ID-System veröffentlichte. Mein Eindruck nach dem Video ist, dass wir noch lange ein Tauziehen um die technischen und rechtlichen Rahmenbedingungen der Uploadfilter erleben werden: Auf der einen Seite stehen Verbände, die gerichtlich gegen Fälle von Overblocking vorgehen werden, auf der anderen Seite politische Akteure, die die Kompetenzen von Uploadfiltern womöglich weiter ausdehnen wollen.
Geld für die sozial-ökologische Wende drucken? Warum nicht! | Dissens
Um was geht es?
Wenn man seinem eigenen Buch den Untertitel Kritik der finanziellen Vernunft verleiht, dann stellt man sich in eine philosophische Tradition, die große Erwartungshaltungen schürt. Ähnlich wie die kopernikanische Wende der Denkart, die Kant mit seiner Kritik der reinen Vernunft unterstellt wird, versucht auch Aaron Sahr eine neue Sicht auf einen Gegenstand zu etablieren: Und zwar auf die Geldschöpfung und ihre politischen Konsequenzen.
Was hängen blieb:
Ein ziemlich faszinierendes Gespräch, das auf ein sicherlich sehr lesenswertes Buch hindeutet. Da der ganze Apparat von Geldschöpfung, Zentralbankarbeit und Staatsschulden auf sehr kontraintuitiven Annahmen beruht, ist es umso wichtiger, das Wissen zu diesen elementaren Institutionen unserer Gesellschaft in die Welt zu tragen und im Sinne Sahrs zu „repolitisieren“. Der zweite Teil des Interviews beinhaltet zudem eine sehr sachliche und ungewöhnlich durchdachte Kritik der Modern Monetary Theory.
100 Wörter (oder so) über: Plattform-Potentiale auf Twitch
2020 war das Jahr, in dem ich zum ersten Mal in Twitch versackte. Das ursprünglich 2018 erschienene Deduktionsspiel Among Us erlebte seinen verspäteten Hype und lockte damit viele Neulinge wie mich auf die Streaming-Plattform, die sich als idealer Multiplikator für die Vermittlung der Faszination hinter dem Titel herausstellte. Wo ich zuvor nur vereinzelte Streaming-Projekte wahrgenommen hatte, offenbarten sich durch die soziale Bündelung einzelner Streamer in koordinierten Projekten wie Among Us-Sessions oder gemeinsamen Rust-Servern die Qualitäten, die im Plattformgedanken von Twitch steckten. So scheint mir, dass, anders als bei YouTube, viele prosoziale Interaktionsmöglichkeiten im Vordergrund stehen: Die Raidfunktion beispielsweise ermöglicht die Übertragung der eigenen Zuschauerschaft auf andere, womöglich kleinere Kanäle und die Clip-Funktion ermöglicht eine Kondensierung der oft stundenlangen Inhalte und schafft durch die Reaction-Ökonomie eine ganz neue Kommunikationsebene zwischen den Streamern. Auch scheinen viele Communities durch gute Live-Moderation und Wachsamkeit der Zuschauer:innen im Chat stärker als Safe Space wahrgenommen zu werden, als viele andere digitale Plattformen. Vielleicht werde ich über den Plattformgedanken von Twitch und seinen Einfluss auf das Sozialgefüge in der „Creator-Economy“ noch mal an andere Stelle etwas schreiben, denn das Thema scheint mir noch nicht erschöpft.