Politische Jugend in Taiwan, kommunistische Wahlerfolge in Österreich und der literarische Widerstand im Ghetto Theresienstadt von Petr Ginz
Diese Woche in der Grübelkiste: Ein Videobeitrag über Ursprünge und moderne Ausdrücke der Politisierung junger Taiwanes:innen; ein Artikel über die jüngsten Wahlerfolge der österreichischen KPÖ und den Bedarf nach lebensnaher linker Politik; und ein ausführliches Feature über das beeindruckende Leben von Petr Ginz, der mit anderen Jugendlichen im Ghetto Theresienstadt das Magazin Vedem produzierte und damit dem Nazi-Regime trotzte.
Taiwans Jugend kämpft um Unabhängigkeit | ARTE Tracks
Um was geht es?
Wenige Konflikte bieten aktuell so viel geopolitischen Sprengstoff wie die Taiwan-Frage. Sei es das industriepolitische Säbelrasseln zwischen den USA und China, die zentrale Rolle der Halbleiterindustrie, das nach den Covid-Jahren einsetzende Derisking, ein zunehmendes Erstarken von revisionistischen Machtansprüchen, oder die schwindende Rolle der USA als ‘Ordnungshüter’ auf der globalen Ebene: Im Mittelpunkt all dieser Entwicklungen steht das sich wandelnde Selbstverständnis Chinas auf der Weltbühne und damit auch die Frage zur Zukunft Taiwans. Gerade der Krieg in der Ukraine hat die Debatten über Unabhängigkeit und Selbstverteidigung im Land neu entfacht. Arte TRACKS folgt im Zuge der kürzlich abgehaltenen Wahlen die Taiwaner:innen Freddy Lim und Lai Pin-yu, die ihr politisches Engagement mit ihren jeweiligen ungewöhnlichen Medienkarrieren verbinden und damit die Rolle der jüngeren Generationen in den Vordergrund stellen.
Was hängen blieb:
Ich bin ehrlich: Der Beitrag ist zwar nett, aber leider enttäuschend kurz und etwas zu oberflächlich. Wegen eines Details habe ich ihn dann aber doch noch mit aufgenommen: Die Erwähnung der sogenannten ‘Sunflower Movement’, von der ich bis dato noch nie gehört hatte. Diese studentisch angetriebene Jugendbewegung hatte den Protest gegen ein Handelsabkommen mit China als Ausgangspunkt und führte im April 2014 zu einer 24 Tage langen Besetzung des Parlamentsgebäudes in Taipeh. Dass dieses – für die Politisierung vieler junger Leute bedeutende – Ereignis hierzulande weniger bekannt ist, hängt eventuell auch damit zusammen, dass sich zum gleichen Zeitraum die russische Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim abspielte.
Diese schicksalshafte Linie zwischen der Ukraine und Taiwan lässt sich bis heute ziehen; unter dem Eindruck der Selbstverteidigung gegen den russischen Aggressor lässt sich auch im 160 km von Festlandchina entfernten Taiwan eine erhöhte Verteidigungsbereitschaft feststellen, während der Anteil der Bevölkerung, der sich eine rasche Vereinigung mit China wünscht, abnimmt. Anders als die von Korruption geplagte Ukraine ist Taiwan jedoch ein demokratischer Musterstaat und steht im entsprechenden Index sogar noch vor Deutschland. Im Zeitalter zunehmender Autokratien scheint es daher umso relevanter, alles politisch Mögliche zu tun, um eine (politische sowie militärische) Übernahme Taiwans zu unterbinden. Denn auch wenn militärische Planspiele der Volksrepublik die realen Schwierigkeiten einer Invasion vor Augen führen, wissen wir aus der jüngsten Geschichte, dass rationale Einschätzungen der eigenen Machbarkeit für verblendete Autokraten nicht zwingend Grundlage finaler Entscheidungen darstellen.
Die KPÖ ist das wirksamste Rezept gegen Rechtsextreme | Jacobin
Um was geht es?
Während es linke Parteien im Zuge eines europaweiten Erstarkens rechtsnationaler Bewegungen zunehmend schwer haben, gibt es eine Partei, die trotz des Signalwortes “Kommunismus” im Namen auf phänomenale Wahlerfolge in jüngster Zeit zurückblicken kann: Die österreichische KPÖ konnte nicht nur in der Gemeinderatswahl 2021 in Graz als stärkste Kraft hervorgehen, sondern nun auch in Salzburg ihr voriges Ergebnis aus 2019 versechsfachen und damit 23,1 Prozent der Stimmen gewinnen. Über die Hintergründe zum kometenartigen Aufstieg der Partei schreibt Adam Baltner für das Jacobin Magazin.
Was hängen blieb:
Eine Anwendbarkeit lokaler Taktiken in anderen Kontexten ist sicherlich nicht immer trivial, doch es fällt nicht sonderlich schwer, Ähnlichkeiten zwischen der hier beschriebenen Themensetzung der KPÖ und Problemfeldern in Deutschland zu identifizieren – bezahlbares Wohnen und der Ausbau des sozialen Wohnungsbaus ließen sich sicherlich auch hierzulande stärker zum Thema machen. Statt inner-linke Kleinkriege zu führen, scheint sich die KPÖ strikt auf ihre politischen Forderungen zu konzentrieren und greifen damit anderen Parteien sowie dem Lager der Nichtwählenden Stimmen ab. Auch wenn die KPÖ in aktuellen Umfragen zur anstehenden Nationalratswahl bei gerade einmal 3% steht, wird es interessant sein, zu beobachten, welche Rolle die Partei in Zukunft auch auf Bundesebene spielen wird.
Schreiben im Untergrund – Das Jugendmagazin "Vedem" in Theresienstadt | Bremen Zwei / Das Feature
Um was geht es?
Während sich einige Geschichten zum Widerstand im Nationalsozialismus ins öffentliche Gedächtnis gebrannt haben und einen festen Platz in unserer Erinnerungskultur einnehmen, gibt es auch viele weniger bekannte Figuren und Bewegungen, die sich gegen die Schrecken dieser Zeit auflehnten. So etwa Petr Ginz, ein schriftstellerisches Wunderkind, das im besetzten Prag Tagebuch führte, mit 14 Jahren ins Ghetto Theresienstadt geschickt wurde und dort ein Literaturmagazin mit Gleichaltrigen gründete. In ihrer großartigen Audioreportage zeichnen Jakob Schmidt und Jannis Funk dieses beeindruckende Leben nach.
Was hängen blieb:
Die Geschichte von Petr Ginz hat mich zutiefst gerührt, wütend gemacht, verzweifeln und staunen lassen über die irren Zufälle und die generationale Tragik, die den erzählerischen Bogen dieser Reportage darstellt. Dass der Wahn der Nazis ganz zentral auch eine Auslöschung von geistigen Kosmen bedeutete, wird einem hier auf schmerzhafte Weise erneut bewusst. Hunderte Seiten schrieb der an Science-Fiction interessierte Petr bereits im jungen Alter. Seine Tagebucheinträge zeugen von einer soziologischen Beobachtungsgabe, während das ausgabenreiche Literaturmagazin Vedem als Zeugnis für einen schöpferischem Drang steht, der selbst inmitten gesellschaftlich dunkelster Zustände nicht kleinzukriegen war. Petr Ginz starb im Alter von 16 im KZ Auschwitz. Sein Humanismus jedoch, der sich etwa anhand eines Aufrufes zur geistigen Selbstorganisation an seine jugendlichen Mitgefangenen ablesen lässt, überdauert bis heute:
“Wir wurden ungerechterweise aus dem Nährboden von Arbeit, Freude und Kultur herausgerissen, aus dem unsere Jugend schöpfen sollte. Damit wird ein einziges Ziel verfolgt: Uns nicht nur körperlich, sondern auch geistig und moralisch zu vernichten. Wird ihnen das gelingen? Niemals. Der einstigen Kulturquellen beraubt, werden wir uns neue schaffen. Durch hasserfüllten Zorn aus der Mitte der Menschen gerissen, werden wir unsere Herzen nicht mit Hass und Zorn verhärten.”
Eine Kiste bunt Gemischtes:
Bücher über Faschismus - Die Hellsichtigkeit der Literatur | Deutschlandfunk Kultur
Historian Rana Mitter on ideology in China's "New Era” | Sinica
So missbrauchen Rechtsextreme Spiele und Gaming-Plattformen | MDR Investigativ / exactly
Disappearing tongues: the endangered language crisis | Guardian
The creative sparks ignited by Global Game Jam | Games Industry.biz