Murder Mystery-Trend in China, drohende Deregulierung im Supreme Court und die Probleme von Obdachlosigkeit
Diese Woche in der Grübelkiste: Ein Video über einen faszinierenden Trend in China, der Live-Rollenspiel und Murder Mystery-Deduktion vereint; ein Text über eine bisher wenig beachtete Entwicklung im Supreme Court, die einschneidende Deregulierungen zur Folge haben könnte; und ein Podcast über Obdachlosigkeit, den Blick der Betroffenen auf die Gesellschaft und die Schwierigkeiten von verlässlicher Forschung in diesem Bereich.
The Murder Game Revolution That Has Gripped China | People Make Games
Um was geht es?
Während sich in westlichen Gefilden Brettspiele mit ausgefeilten Stories einer stetig wachsenden Beliebtheit erfreuen und auch Deduktionsspiele wie Krimi-Dinner oder Werwolf zum Standard-Repertoire simpler ‘Tischrollenspiele’ gehören, hat sich in China kürzlich aus eben diesen Elementen ein neuer gigantischer Trend entwickelt, der vor allem jüngere Generationen in seinen Bann zieht. Der Kanal People Make Games hat sich das Phänomen namens Jubensha genauer angesehen, spricht mit Spieler:innen vor Ort und zeigt unter anderem einige Gender-Dimensionen der Spiele auf.
Was hängen blieb:
Einblicke in Trends zu erhalten, die gänzlich unter dem eigenen Radar schweben, ist immer faszinierend, aber gerade in diesem Fall wird einem eindrücklich veranschaulicht, wie Sprachbarrieren (selbst für gut informierte Fachjournalisten) kulturelle Scheuklappen produzieren. Jubensha ist nicht einfach nur ein nettes Gesellschaftsspiel für den privaten Raum; die Genre-Vielfalt scheint gigantisch und die aufwändigsten Stücke spielen in großflächigen Umgebungen und nehmen dabei beinahe LARP-artige Züge an. Während das detektivische Nachgehen einer Fragestellung den narrativen Antrieb generiert, wird im Video vor allem ein Unterschied zu den hierzulande populären Escape Rooms klar gemacht – während bei diesen die Verteilung der Hinweise im Raum die Aufmerksamkeit der Gruppe eher zerstreut, fokussiert Jubensha die Spielenden auf sich selbst, da die verkörperten Figuren und die detaillierten Hintergrundbögen, auf denen diese basieren, den eigentlichen Schlüssel zur Lösung darstellen. Dass Jubensha vor allem als Kennenlernspiel mit Fremden stattfindet, ist zusätzlich hochgradig spannend, während das Fehlen von spezifischen Content-Warnungen – gerade im Kontext eines scheinbar häufigen Bezugs zu Themen der sexuellen Gewalt – zurecht kritisiert wird. Da Jubensha-Stoffe wohl des Öfteren auch queere und sonstige marginalisierte Perspektiven abbilden, sollte zudem auch der Ausblick auf eine zunehmende Regulierung und Zensur der Spiele durch die chinesischen Behörden im Auge behalten werden.
Why a Supreme Court decision on fishing boats could change everything | The Verge
Um was geht es?
Spätestens seit Ex-Präsident Donald Trump nicht nur etliche Bundesrichter neu einstellte, sondern auch im obersten Gerichtshof durch Neubesetzungen eine konservative Mehrheit festigte, ist die Rolle des Supreme Court innerhalb der US-Politik in aller Munde. Das Kippen von Roe v. Wade und die damit verbundene Abschaffung eines landesweiten Rechts auf Abtreibung im Jahr 2022 offenbarte mit aller Härte die zunehmende Politisierung eines obersten Gerichts, das bereit scheint, selbst etablierte Bürger:innenrechte und soziale Fortschritte zurückzudrehen. Doch das Abtreibungsurteil scheint noch nicht das Ende der Fahnenstange zu sein. Über die Gefahr einer zunehmenden Verschiebung von Kompetenzen von der Staats- zur Rechtsebene und darüber, was Gebühren in der Fischereibranche damit zu tun haben, berichtet The Verge.
Was hängen blieb:
Vielleicht ist es der Tatsache geschuldet, dass die drohende Einschränkung oder gar Abschaffung der sogenannten Chevron Doctrine wenig greifbar erscheint, dass ich erst sehr wenig über besagten Fall gelesen habe, doch das Potential für weiteres Chaos und eine zusätzliche Stärkung der Gerichte im Vergleich zur von Mehrheitsbildung geplagten gesetzgebenden Politik und den staatlichen Behörden scheint hier definitiv gegeben. Während Chevron bisher bei regulativen Unklarheiten in der Gesetzeslage auf das Expertenwissen von Einrichtungen wie der Environmental Protection Agency verweist hat, würde die Abkehr von der Doktrin die Entscheidungsgewalt zu Gunsten der weniger fachlich informierten Gerichte verschieben. Ziel scheint hier ultimativ das Vorantreiben eines letztendlich immer weniger regulierten Staates, die Entfaltung eines libertären und reaktionären Turbokapitalismus, mutmaßlich vorangetrieben etwa von den Koch-Brüdern, die ebenfalls bereits in den Anfängen der Tea Party-Bewegung involviert waren, wie Heike Buchter in einem Kommentar für ZEIT ONLINE schreibt.
Leben auf der Straße - So blicken Obdachlose auf die Gesellschaft | DLF/Systemfragen
Um was geht es?
Auch wenn die gesellschaftliche Wahrnehmung und mediale Repräsentation von non-normativen Lebensentwürfen, Erscheinungen und Schicksalen in den letzten Jahren zugenommen hat, so gibt es auf dem Weg hin zu einer wahrlich solidarischen Gesellschaft, die ihre Aufmerksamkeit auf die Probleme ihrer Mitmenschen richtet, und in der laut Bundeskanzler Scholz der Slogan „You’ll never walk alone“ gelten soll, noch einiges zu tun. Eine selten gehörte Stimme findet sich etwa in der Gruppe der Obdach- und Wohnungslosen. Der Podcast Systemfragen spricht mit Betroffenen über ihre Situation und zeigt die Schwierigkeiten in der Erforschung des Phänomens auf.
Was hängen blieb:
Während ein Konzept wie ‚housing first‘, das etwa in Finnland weit verbreitet ist, Menschen in Wohnungsnot möglichst schnell wieder ein Leben in den eigenen vier Wänden ermöglichen soll, zeigt vor allem das Gespräch mit Experte Prof. Dr. Dirk Borstel, dass die eigentlichen Probleme der Menschen tiefer gehen. Möglichst hürdenlose und unbürokratische Hilfsangebote, sowie ein lebensnahes und individualisiertes Entgegenkommen bei Sozialarbeiter:innen und in der Verwaltung scheinen hier essentiell. Einleuchtend erscheint zudem die These, dass sich am Umgang mit den Wohnungslosen und den multiplen Gefahren, denen sie ausgesetzt sind, Grundsätzliches über die Belastungsfähigkeit unserer gesellschaftlichen Solidarität sagen lässt. Verpflichten wir uns wahrhaftig dazu, Menschenwürde als bedingungslos unantastbar anzusehen? Dann müssen wir den Einzelnen, seine Probleme, Bedürfnisse und Potentiale auch ernst nehmen und uns nicht mit einer Gesellschaft zufriedengeben, die den meritokratischen Ellenbogenkampf als unhinterfragte oberste Norm längst akzeptiert hat.