Leben und Sterben der Postmoderne, die Spätphase der römischen / amerikanischen Republik und fehlendes Wissen über Superreiche
Diese Woche in der Grübelkiste: Eine neue Ausgabe nach monatelanger Abstinenz! Ich entschuldige mich für die viel zu lange Abwesenheit privater Natur und hoffe sehr, nun wieder regelmäßig zum Schreiben zu kommen! Ein kurzer Werbeblock in eigener Sache, bevor es regulär weitergeht: Ich bin vor einiger Zeit unter die Podcaster gegangen. Alle zwei bis drei Wochen spreche ich gemeinsam mit meiner Partnerin bei Im Blätterwald – Der Literaturpodcast über Literatur jedweder Art. In den bisherigen Folgen unterhielten wir uns etwa über Bertolt Brechts Herr Puntila und sein Knecht Matti, über Menschenwerk von Han Kang, über den Webmanhwa Omniscient Reader’s Viewpoint und zuletzt über den ersten Band der SF-Reihe The Murderbot Diaries von Martha Wells. Hört gerne mal rein!
Nun aber ohne weitere Umschweife zu den Inhalten, um die es heute gehen soll: Wir beginnen mit einem Video des YouTubers Tom Nicholas über die Postmoderne als politisches Schlagwort und den Wandel des postmodernen Politikstils unter der Regierung von Donald Trump; anschließend geht es um einen Text von Oliver Weber, in dem er die Faszination von Personen aus dem MAGA-Dunstkreis wie Elon Musk für die politischen Umbrüche und Figuren der Spätphase der römischen Republik beleuchtet; und abschließend gibt es noch einen Podcast von Deutschlandfunk über die umfangreichen statistischen Leerstellen zu den deutschen Vermögen. Viel Spaß beim Lesen!
Postmodernism is DEAD. This is Who Killed It. | Tom Nicholas
Um was geht es?
Mit Steffen Mau gesprochen könnte man „postmodern“ womöglich als „Triggerwort“ bezeichnen. Der Begriff, der eigentlich kulturwissenschaftlichen und philosophischen Ursprungs ist, war (ähnlich wie „Kulturmarxismus“) lange Zeit ein beliebtes Schlagwort im Dunstkreis der Alt-Right und liberalkonservativer Denker wie etwa Jordan Peterson, ehe er gegen Ende der 2010er-Jahre zunehmend von neuartigen Feindbezeichnungen wie „woke“ abgelöst wurde. Der Aufstieg rechtspopulistischer Kräfte wird von diesen daher gerne als Gegenbewegung gesehen, als Abkehr von Kämpfen um linguistische Sprachregelungen, sozial konstruierte Geschlechterordnungen und political correctness. Gleichzeitig wird der Postmodernismus-Begriff auch von links benutzt, etwa um den schwindenden Konsens zu objektiven Tatsachen im politischen Diskurs zu beschreiben. Tom Nicholas widmet sich in seinem Video der Begriffsgeschichte des Terminus und arbeitet dabei das komplexe Zusammenspiel von modernen und postmodernen Eigenschaften heraus, das unsere heutige Politik prägt.
Was hängen blieb:
Der Vorwurf der „Anti-Postmodernen“, der sich vorrangig gegen die Linke ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts richtet, beinhaltet laut Nicholas die redundante Verkürzung von gesellschaftlichen Fragen auf Machtdynamiken, sowie den Wandel weg von der Beschreibung „realer“ Probleme (etwa diskriminierende Gesetze und Praktiken) hin zu sprach- und repräsentationstheoretischen Überlegungen (etwa dem Wunsch, kulturellen Einfluss zu üben auf die gesellschaftlich geteilten Stereotypen und Bilder). Gleichsam zeichnet sich die Postmoderne durch ihren Einsatz von Ironie und Skepsis aus, sowie ihre Abkehr von den großen Erzählungen der zurückliegenden Zeit der Moderne.
Die Vorstellung, dass die Ideen eines solchen postmodernen kulturellen Umbruchs allein durch die schwer zugänglichen Bücher einer akademischen Elite in die Welt getragen wurden, hält Nicholas für abwegig. Vielmehr hätte es nach der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine große Enttäuschung über die vielen, oftmals in Manifesten festgehaltenen Welterklärungen gegeben, nachdem die Menschen diese reihenweise an der Realität scheitern oder in politische Extreme abdriften sahen:
As the second half of the 20th century proceeded, trust in all kinds of authority shattered.
Dieser Vertrauensverlust in die etablierten Autoritäten, der den Weg zu einer Postmodernen „structure of feeling“ (Raymond Williams) in der Gesellschaft ebnete, war Nicholas zufolge politisch indifferent. Resultat hiervon waren eine generelle Skepsis Ideologien gegenüber und das Aufleben einer Form der politischen Kommunikation, die sich häufig auf Metadiskussionen versteifte (Sprache und Sprechpositionen, Repräsentationen von Kompetenz statt Visionen und Inhalte).
This was the era of The West Wing and The Thick of It and Veep, in which being a good politician was no longer about conveying a meaningful vision to your country and winning people over to that vision, but about wearing the right clothes and having the right body language.
Auch in jüngster Zeit lässt sich ein Verweis auf die im Zitat angesprochene Tendenz wiederfinden, und zwar in der rigiden Durchsetzung der Kleiderordnung durch die Bundestagspräsidentin Julia Klöckner, die den Eindruck erweckt, als sei ein unpassendes Äußeres scheinbar ein größerer Störfaktor für einen funktionierenden Bundestag als 151 dauerpöbelnde Fraktionsmitglieder einer rechtspopulistischen Partei.
Die MAGA-Politik stellt Nicholas zufolge in der Zuschaustellung ihrer emotionalen Ehrlichkeit und ideologischen Treue einen klaren Bruch mit den postmodernen „Zeichenspielen“ und der Skepsis vor Autoritäten und ihren Erzählungen dar, doch auch hier liegt ein breiterer gesellschaftlicher Trend zugrunde – etwa die Erkenntnis, dass die postmoderne Haltung zwar zynische Bemerkungen zur Weltlage erlaubt, aber keine Vorstellungen einer besseren Welt ermöglicht.
Die politische Stagnation der letzten Jahrzehnte beruht nach Nicholas nicht zuletzt darauf, dass große transformative Projekte aus Angst, sich den Ideologievorwurf einzuhandeln, vermieden wurden. Rechtspopulisten wie Trump haben dieses gesellschaftliche Bedürfnis nach einer neuen Erzählung erkannt und bieten nun ein Programm, das den Ideologieglauben des Modernismus mit weiterhin vorhandenen postmodernen Eigenschaften verknüpft. So erklärt sich dann auch, dass der MAGA-Politikstil zum einen linguistische Debatten über die Benennung des Golfs von Mexiko führt oder den Trump-Coin präsentiert, im gleichen Atemzug aber mit seiner Zoll- und Abschiebungspolitik den aufrichtigen Glauben in ihren eigenen nativistischen Kult vorantreiben.
Um diesen neuen politischen Zeitgeist, das Pendeln zwischen aufmerksamkeitsheischendem Showprogramm und überholt anmutender Realpolitik, zu beschreiben, bedient sich Nicholas für seine Zwecke beim Begriff “Metamodernismus” der Wissenschaftler Timotheus Vermeulen und Robin van den Akker:
Trumpism is fascism re-invented for a metamodern era, constantly swinging back and forth between mimemetic irony and genuine belief in a far-right ideological conception of the world.
Progressive und liberale Parteien des Establishments stehen nun vor der Wahl: Entweder sie behalten einen Kurs bei, der die möglichst störungsfreie Verwaltung des Status Quo im Modus aalglatter ideologischer Unangreifbarkeit weiter fortführt; oder sie erkennen, dass die Probleme von heute im Politikmodus von gestern nicht gelöst werden können und es wieder Mut zum Anpacken der großen gesellschaftlichen Fragestellungen benötigt.
Die Spätphase der amerikanischen Republik | Politik&Ökonomie
Um was geht es?
Wie oft denkt die MAGA-Bewegung eigentlich an das römische Reich? Häufiger als man vielleicht denken würde, wie sich dem Text “Die Spätphase der amerikanischen Republik” von Oliver Weber entnehmen lässt. Für das Magazin Politik&Ökonomie beleuchtet der Politikwissenschaftler, welche Bezüge zur antiken Republik bereits den Gründervätern der Vereinigten Staaten vorschwebten, und wie die Rom-Rezeption unter den Trumpisten einen grundlegenden Wandel erfahren hat.
Was hängen blieb:
Obwohl Anspielungen zur römischen Politik laut Weber seit jeher im Verfassungstext der USA sowie in ihren Monumenten und Symbolen zu finden seien, war die Intention hinter diesen Entlehnungen stets eine völlig andere, als es bei den heutigen Trump-Loyalisten: Ziel der Gründerväter war es, den Beweis anzutreten, dass freies Regieren nicht dazu verdammt sei, in Tyrannei oder Anarchie abzugleiten; vielmehr ließe sich durch die Fundamente von Vernunft und Erfahrung eine Republik gründen, die den Machtinteressen der Massen sowie singulärer Führungspersonen standhält. Mit dem Einmarsch der MAGA-Bewegung in die oberste Riege der US-Politik sei dieser Selbstanspruch nun prekär geworden; der Verwaltungsapparat wird mit Loyalisten besetzt, es wird über Dekrete regiert, die Legislative bleibt zahnlos, die Gerichte sind hochgradig politisiert. Auch denkt der Präsident selbst laut über die Ausdehnung der eigenen Amtszeit nach – ein klarer Verfassungsbruch mit Ankündigung.
In der Begründung dieses „autoritären Durchgreifens“ von Seiten der Rechtspopulisten zeigt sich laut Weber eine neue Form des Rom-Vergleichs: Während die Figuren der Gründerzeit in ihren Verweisen vor allem die Langlebigkeit und Stabilität der römischen Republik im Sinn hatten, orientieren sich Trump-nahe Akteure wie Elon Musk, Michael Anton, oder Curtis Yarvin spezifisch an ihrer Spätphase. Weber identifiziert hier auch einen Unterschied zu früheren politischen Vergleichen mit dem drohenden Untergang des spätantiken Rom, wie sie etwa beim ehemaligen Chefstrategen des Weißen Hauses, Steve Bannon, oder den sogenannten “Postliberalen” zu finden seien. Im Zentrum der aktuellen Rom-Vergleiche stünden dagegen die häufigen Verfassungskrisen und Bürgerkriegsepisoden des letzten Jahrhunderts vor Christus. Beispielhaft ist hier etwa Elon Musk, der sich wiederholt positiv auf den römischen Diktator Sulla bezieht, der mit seinen Legionen mehrfach in Rom einmarschierte und sich ohne Amtszeitbegrenzung zur “Regelung innerer Staatsangelegenheiten” zum Diktator ernannte.
Ähnliche Vorstellungen finden sich bei den beiden anderen oben bereits angesprochenen Personen, Michael Anton und Curtis Yarvin. Ersterer (aktuell Director of Policy Planning im Außenministerium) skizzierte in seinen Texten die Idee eines “amerikanischen Cäsars”, der – legitimiert durch die Notwendigkeit eines akuten Notstandes – als monarchisch-tyrannischer Herrscher die Ordnung übernehmen solle. Auch Curtis Yarvin, Vordenker der Dark Enlightenment-Bewegung, legte eine vergleichbare Theorie des amerikanischen Cäsarentums vor, die den Weg von der Demokratie zurück zur Monarchie ebnen soll. Gestützt werden solche Forderungen nach einem cäsarischen Herrscher, der für die Gründerväter undenkbar gewesen wäre, von der Vorstellung, den Pfad einer konstitutionellen Republik bereits verlassen zu haben, wie es etwa der Vizepräsidenten J.D. Vance vor wenigen Jahren anmerkte, als er für grundlegende Veränderungen des “administrative state” warb, um das Volk wieder an die Macht zu bringen.
Im Denken dieser Menschen befindet man sich also längst im Kampf gegen den Feind im Inneren, in einer Art Bürgerkrieg, die den Verfassungsbruch als notwendiges Mittel zur Wiederherstellung der Ordnung erscheinen lässt. Interessanterweise verweist Weber abschließend in seinem Text auf tatsächliche Parallelen der US-Politik der letzten Jahrzehnte und der Spätphase der römischen Republik, etwa die schwelenden sozialen Krisen, für die keine der Parteien wirkliche Lösungen parat hätten. Heute wie damals gab es ein breit vorhandenes gesellschaftliches Problembewusstsein, gleichzeitig aber auch Schwierigkeiten, den großen Umfang dessen, was sich ändern müsse, anzupacken. Was bleibt, ist ein ständiger Antagonismus und eine Politik der Schuldverschiebung, die permanente Mobilisierung gegen den “wahren Feind” und das gleichzeitige Eingeständnis von politischer Alternativlosigkeit:
Man weiß nicht, was genau, warum genau schiefläuft, man weiß nur, dass etwas schiefläuft und wer die Schuld dafür trägt. An diesen Paradoxien ging auch das römische Vorbild zugrunde. Nicht ausgeschlossen, dass die Vereinigten Staaten längst denselben Weg eingeschlagen haben.
Angesichts dieser gefährlichen Tendenzen einer Rückbesinnung auf diktatorisches Durchregieren sollte vielleicht gerade heute das Kontrastprogramm dazu angeboten werden; die Ausdehnung politischer Teilhabe und Mitbestimmung, sowie die Umverteilung von Wohlstand, Sicherheit, und Macht.
Faire Gesellschaft – Warum wir mehr über reiche Menschen wissen sollten | Deutschlandfunk / Systemfragen
Um was geht es?
Einer Studie zur deutschen Vermögensverteilung zufolge hält das reichste Prozent im Land gut 35% der Gesamtvermögen. Gleichzeitig ist die Vermögenssteuer, die im Nachkriegsdeutschland über Jahrzehnte erhoben wurde, seit 1996 ausgesetzt. Fakt ist: Wir wissen erschreckend wenig über die Familien der Superreichen unseres Landes, wie sich etwa in Julia Friedrichs Buch Crazy Rich aus dem letzten Jahr nachlesen lässt. Dieser Zustand bringt allerlei politische Probleme mit – ganz abseits von der zugrundeliegenden Frage der Gerechtigkeit. Der Podcast Systemfragen wirft gemeinsam mit Markus Grabka vom DIW Berlin einen Blick auf die aktuelle Lage.
Was hängen blieb:
Wer als Sozialhilfeempfänger auf staatliche Transferzahlungen angewiesen ist, wird finanziell durchleuchtet; wer dagegen Vermögen im hohen Millionen- oder Milliardenbereich besitzt, profitiert von zahlreichen Privilegien, angefangen bei den Family Offices, die als möglichst steuerschonende Vermögensverwalter agieren, bis hin zu Sonderregelungen wie der Verschonungsbedarfsprüfung, die das Erbschafts- und Schenkungsrecht für besonders große Vermögen quasi aushebelt. Während es zur Zeit der Erhebung der Vermögenssteuer noch eine verhältnismäßig gute Datengrundlage zu den Reichen im Land gab, beklagt Grabka, dass seit 1998 von offizieller Seite nur noch die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe des Statistischen Bundesamtes existiere, die jedoch Haushaltseinkommen über etwa 15.000 Euro ausschließe.
Öffentliche Daten, wie sie etwa in Managermagazinen, in der World's Billionaires List von Forbes oder im Bloomberg Billionaires Index zu finden seien, wären zudem häufig ungenau, auch wegen der starken Streuung von hohen Vermögen. Lokal gebundene Vermögen, die etwa für Steuereinnahmen und Arbeitsplätze sorgten, sind laut Grabka zudem stets mit Macht und der Gefahr einer politischen Bevorzugung durch die Politik verbunden – auch deswegen bedarf es mehr Vermögenstransparenz. Auch sei es bei deutschen Aktienunternehmen nicht vollständig möglich herauszufinden, ob Anteilseigner inländisch oder ausländisch verortet sind, etwa wenn ein Fond hinter diesen stecke. Des weiteren stellt Grabka die oben bereits erwähnte Studie und die Datensammler dahinter im Detail vor, ehe er seinen eigenen, kontraintuitiv erscheinenden Vorschlag einer Wiedereinführung der Vermögenssteuer vorstellt: Eine Vermögenssteuer von 0% mit dem primären Ziel, Daten zu erheben, da aktuell diskutierte Konzepte der Wiedereinführung (beispielsweise 1% ab einem Nettovermögen von etwa 2 Millionen Euro) nur einen vernachlässigungswerten Effekt auf die Entwicklung der Vermögensungleichheit hätten.
Hier ließe sich mit mehr Ahnung und Kompetenz vom Thema (womit ich leider nicht dienen kann) sicher umfangreich über die Sinnhaftigkeit eines solchen zurückhaltenden Vorschlages diskutieren. Ebenfalls scheint es mir sinnvoll, das Ziel einer weniger ungleichen Vermögensverteilung nicht an einem einzigen Steuertyp auszurichten, sondern beispielsweise auch das Erbschafts- und Schenkungsrecht in etwaige Reformmodelle miteinzubeziehen.
Eine Kiste bunt Gemischtes: