Industrienormen und Machtpolitik, Rückkehr zum Mond, Russland und der Faschismus und Drive My Car
Diese Woche in der Grübelkiste: Internationale Machtpolitik in der Standardisierungsbranche, das Artemis-Projekt und die Rückkehr zum Mond, Faschismus in Russland und 100 Wörter (oder so) über den Film Drive My Car.
Der neue Wettlauf zum Mond – NASA Artemis erklärt | Terra X Lesch & Co
Um was geht es?
Lange hat sich in der bemannten Raumfahrt verhältnismäßig wenig getan, doch das wird sich voraussichtlich sehr bald ändern. Nachdem 50 Jahre lang keine Mondmission mit Astronaut:innen mehr stattfand, sollen sich nun schon in wenigen Jahren mit dem Artemis-Programm wieder Menschen auf den Weg zum erdnahen Himmelskörper machen. Suzanna Randall spricht über die technischen Details, die geostrategischen Hintergründe und die langfristigen Ziele des Projekts.
Was hängen blieb:
Der neue Aufschwung in der Raumfahrt ist ein faszinierendes und vielschichtiges Thema mit allerlei Facetten, sei es das Weltraumrecht, die teils obskuren internationalen Allianzen mit Blick auf den geplanten Bergbau im All, oder die langfristigen Ziele einer Mondbasis und dauerhaften Station im Orbit. Das Video gibt einen guten Überblick zum Status Quo und zum technischen Ablauf der Artemis-Mission. Zusätzlicher Hörtipp: Die Artemis-Folge des sehr guten Podcast WeltraumWagner.
»In Russland droht ein faschistisches Regime« | analyse & kritik
Um was geht es?
Die repressiven Maßnahmen gegen die Zivilgesellschaft und die Aufrüstung der Propagandamaschine im Zuge des Ukraine-Krieges führen unweigerlich zur Überlegung, ob ein innenpolitischer Wandel im totalitär erscheinenden russischen Staat überhaupt noch möglich ist. Die Omnipräsenz politischer Symbolik, die Krieg und gesellschaftliche Unterstützung zu verbinden versucht, eröffnet zudem die Frage, ob Parallelen zum faschistischen System legitim sind. Der Moskauer Soziologe Greg Yudin nimmt im Interview mit analyse & kritik zu diesen Fragen Stellung.
Was hängen blieb:
Interessant am Interview ist zum einen die Verbindung einer historischen Analyse der kleptokratischen Staatsordnung mit einem psychologisch-strategischen Einblick in Putins Regierungsvorhaben, und zum anderen die Beschreibung einiger zunehmend faschistischer Elemente, beispielsweise in der Sprache und dem Framing der Ukrainer, der Zunahme polizeilicher Gewalt, oder in den Einschüchterungsversuche gegen Oppositionelle. Streitbar ist dagegen die Schlussfolgerung, die ein Übergreifen des Konflikts auf andere angrenzende Länder in Aussicht stellt. In Anbetracht ausbleibender militärischer Erfolge der russischen Truppen in der Ukraine und der Vehemenz, mit der im Inland das Wort “Krieg” unter Strafe gestellt wird, erscheint eine, für einen Krieg an mehreren Fronten sicherlich notwendige, landesweite Mobilisierungskampagne einigermaßen fragwürdig.
Wie China versucht, eigene technische Normen durchzusetzen | Deutschlandfunk
Um was geht es?
Gibt es Themen, die trockener anmuten als Normierungsverfahren? Möglicherweise. Viele werden es jedoch nicht sein. Dass es aber auch hier in Wahrheit um politische Machtkämpfe über internationale Standards und industrielle Vorteile geht, beweist dieser Bericht über die wachsende Einflussnahme Chinas im Normierungsbusiness.
Was hängen blieb:
Dieser Beitrag steckt eigentlich voller interessanter Details über Dinge, von denen man wahrscheinlich selten bis nie etwas gehört hat. Wer von euch wusste zum Beispiel, dass die EU in ihrer aktuellen Standardisierungsstrategie darauf pocht, die Macht außereuropäischer Organisationen (womit in erster Linie Huawei adressiert wird) bei der Ausarbeitung von Normen im Telekommunikationsbereich einzuschränken? Oder dass China im Zuge ihrer Seidenstraßen-Initiative zunehmend eigene Standards durchzusetzen versucht, beispielsweise im Fall von Eisenbahnprojekten in Afrika aber auch zwischen EU-Land Ungarn und Serbien? Oder dass Anfang der 2000er versucht wurde, einen alternativen WLAN-Standard zu etablieren, der sich aber unter anderem aufgrund von Sicherheitsbedenken nicht durchsetzen konnte? Da soll noch einer sagen, das Thema sei zu trocken…
100 Wörter (oder so) über: Drive My Car
„Das Leben ist eines der Härtesten“, so ließe sich das existenzialistische Drama Drive My Car von Ryūsuke Hamaguchi womöglich flapsig zusammenfassen. Yūsuke Kafuku, Theaterregisseur und Hinterbliebener, wird beauftragt, das Stück Onkel Wanja für ein Festival in Hiroshima aufzuführen. Der kürzliche Tod seiner Frau, die als Inspiration für ihre Filmdrehbücher häufig mit anderen Männern schlief, und die für Kafuku immer etwas Mysteriöses, Unerklärliches verkörperte, ist noch immer sein ständiger Begleiter, hört er doch ihre aufgezeichnete Stimme bei jeder Autofahrt besagtes Theaterstück rezitieren. Als ihm in Hiroshima die junge Chauffeurin Misaki an die Seite gestellt wird, dienen die beiden sich fortan gegenseitig als Katalysator für die Aufarbeitung ihrer jeweiligen Schicksale. Es geht um den seelischen Schmerz, der die Aussichtslosigkeit der Wahrheitssuche beschreibt, die uns vor Augen kommt, wenn wir versuchen, unser Gegenüber zu ergründen, die Leerstellen zu füllen, die uns stets ratlos zurücklassen, vor allem dann, wenn besagte Personen aus dem Leben geschieden sind und unsere fragenden Gedanken im Nichts verhallen. Drive My Car bietet keine Erlösung von diesen Fragen, sondern präsentiert sie als unvermeidlichen Teil der Existenz derjenigen, die zurückbleiben, denen nichts anders übrigbleibt, als auf Vertrauen ins Leben zu setzen und sich dem Strom der Zeit weiter entgegenzustellen, ohne dabei von der Vergangenheit verschüttet oder der eigenen Zukunft beraubt zu werden: „Man muss nun mal leben, auch wenn man‘s gar nicht will. Die Tage ableben, einen nach dem anderen, arbeiten und alt werden, sterben.“