Geschichte der Kneipe, Philosophie des Drecks, Spoiler-Phobie und 7 vs. Wild
Diese Woche in der Grübelkiste: Die Kulturgeschichte der Kneipe als politischer Raum, philosophische Betrachtungen von Dreck und Sauberheit, Gründe für die aktuelle Spoiler-Phobie und 100 Wörter (oder so) zum YouTube-Hype 7 vs. Wild.
The Surprising Philosophy of Dirt | Then & Now
Um was geht es?
Was ist Dreck? Etwas, das seine Schmutzigkeit inhärent in sich trägt? Oder eine menschengemachte Markierung von Ordnung und Unordnung? Dieses gedankenflussartige Video-Essay geht dem Begriff auf die Spur und bietet viele diskussionswürdige Anhaltspunkte, über die es sich nachzudenken lohnt.
Was hängen blieb:
Besonders interessant fand ich die gedankliche Verbindung von Reinheit und Utopien (die von Kontradiktionen und allem Unerwünschten befreit sein sollen), da sich hier mit am besten die Frage diskutieren lässt, inwiefern das Verlangen nach „reinen“ Zuständen nicht zwangsläufig zentrale Eigenschaften unseres diversifizierten und nicht als Einheit zu begreifenden Lebens unterschlägt.
Über die Geschichte der Kneipe - auch als politischer Schutzraum | DLF
Um was geht es?
Die urige Dorfkneipe als ein in sich geschlossener gesellschaftlicher Rückzugort existiert heute kaum noch. Schon längst wurde sie abgelöst von innenstädtischen Begegnungsorten der ständigen Transparenz und Offenheit. Das war aber nicht immer so, wie in diesem kurzen Beitrag des Deutschlandfunks kulturhistorisch aufgearbeitet wird. Gerade in der Zeit zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert, als die sogenannten Sozialistengesetze zur Eingrenzung sozialdemokratischer Organisation erlassen wurden, dienten Kneipen als politischer Ersatzraum für Arbeiter, um ihre politischen Interessen zu artikulieren.
Was hängen blieb:
Als Nicht-Historiker faszinierten mich an diesem Beitrag besonders die Hintergründe zur Recherchearbeit. Da nur wenige Schriften zu den tatsächlichen Gesprächen und Vorkommnissen innerhalb der Kneipen existieren, dienen als eine der zentralen Quellen Archive der damaligen polizeilichen Geheimarbeit, die von Spitzeln zusammengetragen wurden, die sich als Arbeiter ausgaben um Organisationsbestrebungen zu protokollieren.
Auch die Überlegungen zur Rolle der Frau im historischen Kontext der Kneipen, die sich durch die Quellenarbeit scheinbar weitaus schwieriger rekonstruieren lässt als bei den Männern, macht diese Folge hörenswert.
Spoiler-Phobie. Die kurze Geschichte eines neuen Phänomens | Geschichte der Gegenwart
Um was geht es?
Die heutige Spoiler-Phobie ist nicht rein zufällig in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten als massenmediales Phänomen in Erscheinung getreten, sondern weist eine enge Verknüpfung mit den Entwicklungen der Produktions- und Distributionsweisen von Film und TV im digitalen Zeitalter auf, wie sich in diesem Artikel vom Portal Geschichte der Gegenwart nachlesen lässt. Eine schöne Herleitung, die treffend aufzeigt, wie das Grübeln über Elemente des Worldbuilding und des Plots, und die zunehmende Instabilität ehemals gewohnter Erzählweisen allmählich den Rätselcharakter von Filme und Serien immer stärker befeuerten.
Was hängen blieb:
Sehr zutreffend erscheint mir vor allem die Analyse zum ewigen Fortsetzungsdrang im Marvel-Franchise, das durchwoben ist von narrativen Elementen, die den Effekt der Spoiler-Manie mit einkalkulieren. Nur mit längst nicht mehr glaubwürdigen Finten und Umdeutungen bisheriger Ereignisse – die nicht mal Halt davor machen, die Zerstörung des halben Universums als erzählerischen Schocker zu nutzen, der mit einem bloßen Fingerschnippen wieder zurückgesetzt werden kann – lässt sich der Stoff ins Unendliche ausdehnen, indem er zu einem bloßen inhaltsleeren Spiel der Zeichen verkommt.
100 Wörter (oder so) über: 7 vs. Wild
Eigentlich gibt es wenige Dinge, die ich so ätzend finde, wie Survival-Content. Die Vorstellung, menschliches Dasein entkoppelt von unseren sozialen Errungenschaften zu begreifen und im selbstgeflochtenen Lendenschurz im dichten Wald einsam ein Feuer zu machen, erscheint mir gerade als Soziologiestudent absurd. Die aktuell laufende YouTube-Serie 7 vs. Wild hat mich aber doch gewonnen. Es ist faszinierend, mit anzusehen, dass in einer Zeit der globalen Isolation gerade ein Format, in dem der Einzelne auf Selbstversorgung angewiesen ist, einen solchen Hype erlebt. Mit dabei ist natürlich immer die Kamera, die Isolation ist also nur eine einseitige; die isolierten Blicke sind zahlreich, sie ruhen auf den Teilnehmern. Unterhaltung – das Verkaufen der eigenen Kompetenzen und Leistungen – und Überleben lassen ihre gemeinsame Grenze verschwimmen.