Einflussnahme bei der Oscar-Vergabe, Polens schwieriger Weg zurück zur Rechtsstaatlichkeit und das Phänomen des Linkskonservatismus
Diese Woche in der Grübelkiste: Ein kurzes Video über die Hintergründe zur Oscarwahl und die Einflussnahme auf wahlberechtigte Mitglieder; ein längerer Text über den Status Quo der Demokratie in Polen und die Hürden auf dem Weg zurück zur Rechtstaatlichkeit; und ein Audio-Feature zum Phänomen Linkskonservatismus und den Wandel der klassischen linken Wählerschaft.
Why Are The Oscars Like That? | Thomas Flight
Um was geht es?
Am 11. März ist es mal wieder so weit: Die älteste weltweite Preisverleihung im Unterhaltungssektor, die Oscars, werden zum mittlerweile 96. Mal vergeben. Anlass genug für eine Empfehlung, die sich mit den weniger sichtbaren Aspekten der Zeremonie beschäftigt: Und zwar mit den wahlberechtigten Mitgliedern der Academy sowie der Frage, warum es bestimmte Filme ins engere Auswahlverfahren schaffen und andere nicht. Der Essayist Thomas Flight bemüht sich, Scheinwerferlicht ins Dunkle zu bringen.
Was hängen blieb:
Obwohl bestimmte Aspekte aus diesem Video filminteressierten Menschen sicherlich bekannt sind (etwa der überraschende Oscargewinn von Shakespeare in Love im Jahr 1999 und der Einfluss Weinsteins hinter diesem Ergebnis), fand ich vor allem den Einblick in die hochgradig zielgruppenoptimierte Filmwerbung, die sich explizit an die Wahlberechtigten der Academy richtet, sehr spannend. Auch die zweischneidige Rolle der Oscars für die Aufrechterhaltung von Filmkultur – einerseits mitunter fatal daneben, wenn es um die tatsächliche Kanonisierung des Mediums geht, aber gleichzeitig relevant für die Beschaffung von Geldern und Vertrauen in Hollywood – lädt zum Nachdenken ein.
Poland’s democratic rehabilitation | Prospect
Um was geht es?
“Today’s authoritarian populists don’t take power by abolishing democratic institutions, but by getting inside and hollowing them out, stuffing their own party soldiers into the cavity”. Diese Worte von Annette Dittert beschreiben nicht nur treffend aktuelle Pläne radikaler Konservativer in den USA, sondern auch die Vorgehensweise der polnischen PiS-Partei der letzten Jahre in ihrem Versuch, die Demokratie im Land vollständig auszuhöhlen. Nach der Hoffnung stiftenden Wahl von Ministerpräsident Donald Tusk scheint Schlimmeres vorerst gestoppt. Doch welche Hürden müssen auf dem Weg zurück zur Rechtsstaatlichkeit noch überwunden werden? Dieser Text für das Prospect Magazine klärt auf.
Was hängen blieb:
Ein sehr spannender Einblick, nicht nur in die spezifischen politischen Entwicklungen und Möglichkeiten zur Rückabwicklung in Polen, sondern auch in allgemeine politikwissenschaftliche und rechtswissenschaftliche Fragestellungen: Wenn eine Regierung demokratische Institutionen dafür nutzt, um eine anti-konstitutionelle Agenda voranzutreiben, wenn sie das Rechtssystem unterwandert und formal korrekte, aber demokratisch illegitime Systeme aufbaut, inwiefern ist es dann zulässig, die Spielregeln einer solchen konstruierten Scheindemokratie zu unterwandern, um einen Idealzustand von Demokratie wiederherzustellen? Dittert zeigt unter anderem auf, wie diese Frage gerade in der westlichen Berichterstattung über Polens neue Regierung häufig unterkomplex dargestellt wird.
Linkskonservatismus - Rolle rückwärts in die Zukunft? | Deutschlandfunk Kultur / Zeitfragen
Um was geht es?
Die Frage nach der Relation zwischen unterschiedlichen politischen Situierungen bietet regelmäßig Raum für Debatten – etwa, wenn mal wieder das fragwürdige Konzept des Hufeisens ausgekramt wird, um eine vermeintliche Nähe zwischen linken und rechten Extrempositionen auszumachen. Aber auch der interne Konflikt zwischen sogenannten ‘ökonomischen’ und ‘kulturellen’ Linken über die Geltungshoheit der Bedeutung ‘links’ führt immer wieder zu Auseinandersetzungen, wie sich etwa im Umgang mit der kürzlich gegründeten Partei ‘Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit’ gezeigt hat. Über die Frage, welche Assoziationen ‘links’ früher wie heute ausgelöst hat und auslöst, und ob es so etwas wie ‘Linkskonservatismus’ überhaupt gibt, berichtet das Deutschlandfunk Kultur-Format Zeitfragen.
Was hängen blieb:
Der Beitrag setzt sich vornehmlich mit dem Wandel im Wahlverhalten der Arbeiterklasse auseinander und zeigt auf, wie eine ehemals gewerkschaftlich organisierte Klientel links der Mitte sukzessiv einer Wählerschaft gewichen ist, die stattdessen immer stärker aus einem universitären Milieu rekrutiert wird. Hieran lässt sich wunderbar Michael Sandel anschließen, der in seinem Buch Vom Ende des Gemeinwohls die Spaltung der Gesellschaft auf eine unhinterfragte Legitimierung von meritokratischen Prinzipien und einen Drang hin zu immer höheren Abschlüssen zurückführt und in der US-Wählerschaft eine Spaltung zwischen akademisch und nicht-akademisch ausgebildeten Fachkräften identifiziert. Horizontale gesellschaftliche Konfliktlinien verdrängen zudem immer stärker vertikale, wie jüngst auch Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser festgestellt haben; selbst Wahlentscheidungen, die aus ökonomischer Perspektive gegen die eigenen Interessen ausfallen, werden somit zugunsten einer kulturellen Politisierung hingenommen, die sich stattdessen gegen Dinge wie geschlechtergerechte Sprache ausspricht. Gleichzeitig wird allerdings auch auf die historische Tradition eines konservativen ‘Arbeiterklasse-Autoritarismus’ hingewiesen, bei der sich linke Parteien in Deutschland bereits in den 90er-Jahren zu bedienen versuchten, und an die Wagenknecht nun ebenfalls anknüpft. Auch das Aufgreifen von ehemals linken Themen wie EU-Kritik durch einen erstarkten Rechtspopulismus wird im Beitrag als Problem für linke Parteien hervorgehoben, die sich fortan um Abgrenzung bemüht sahen. Offen bleibt am Ende die Frage, ob ein linkskonservatives Angebot, das für ökonomische Gleichheit einsteht, aber gleichzeitig eine ‘Abfederung’ kultureller Fortschritte leistet, wie es etwa eine CDU von sich behaupten würde, überhaupt ohne den starken Populismus auskommen könnte, den etwa Wagenknecht an den Tag legt.
Eine Kiste bunt Gemischtes:
Iran is socially engineering mass depression to suppress dissent | Atlantic Council
Eugène-François Vidocq and the Birth of the Detective | The Public Domain Review
Welchen Einfluss haben Evangelikale auf die US-Politik? | SRF Kultur Sternstunden
Studio Ghibli's Epilogue? The Boy and the Heron | Any-mation
Russland - Putins stille Kritiker | Deutschlandfunk Kultur / Die Reportage