Die deutsche Linke und Russland, Videospiel-Remakes und die Encyclopédie der Aufklärung
Diese Woche in der Grübelkiste: Ein Artikel über unkritische anti-westliche Dispositionen in Teilen der Linken, sowie deren problematische Beziehungen zu Russland; ein Video über die Frage, ob Videospiel-Remakes stärker strukturelle Design-Änderungen und -Kürzungen durchführen sollten; und ein Podcast über die ‘Wikipedia der Aufklärung’ und deren subversive Kritik an den Mächten ihrer Zeit. In den nächsten Tagen folgt zudem (sofern alles klappt) ein kleiner Artikel zum Thema moralischer Konsum und Kultur als eigenständige Sphäre am Beispiel von Hogwarts Legacy und Atomic Heart. Viel Spaß nun aber erstmal mit der neuen Newsletter-Ausgabe!
Der Verlust der politischen Heimat | taz
Um was geht es?
Während die gesellschaftlichen und globalen Probleme unserer Zeit, allen voran die Klimakatastrophe und die wachsende Ungleichheit, von einer starken linken Stimme in der Politik profitieren würden, ist vor allem die hiesige Linke mit internen Lagerkämpfen beschäftigt. Nicht nur der Zwiespalt zwischen vermeintlichen ökonomischen und ‚Kulturlinken‘ steht dabei im Zentrum, auch die seit jeher problematische Nähe zu Russland und die historische Verklärung sowjetischer Unterdrückung sind im Kontext der Ukraine-Invasion in den Fokus gerückt. Für die taz schrieb Anastasia Tikhomirova über die unkritische anti-westliche Gesinnung und den daraus resultierenden blinden Fleck einiger Linken für autoritäre Unterdrückung.
Was hängen blieb:
Der Text bringt überzeugend auf den Punkt, wie eine linke Politik, deren Identität aus einer nicht mehr entwirrbaren Melange aus anti-westlichen und anti-kapitalistischen Grundhaltungen besteht, das dynamische (Neu-)Denken von realen Unterdrückungsverhältnissen zu Gunsten von in der Zeit eingefrorenen Freund-Feind- und Ost-West-Unterscheidungen aufzugeben droht. Dabei zeigt sich, gerade auch mit Blick auf die eigentlich hochgehaltenen historischen Figuren der linken Denktradition, wie eine eigentlich kritische und nicht rückwärts gerichtete Auseinandersetzung mit Ungerechtigkeit, Freiheit und Unterdrückung aussehen könnte.
SCHNEIDEN statt STRECKEN: Sollten Remakes KÜRZER werden? | Hooked
Um was geht es?
Remakes und Remasters gibt es mittlerweile wie Sand am Meer. Der ‚Retro‘-Begriff ist dabei zum dominanten kulturellen Referenzpunkt geworden: Das Gestern ins Heute bringen, den Geist einer Vergangenheit neu (oder gar zum ersten Mal) erleben, eine authentische, in Raum und Zeit eingeschriebene Erfahrung verdinglichen und für die Nachwelt festhalten. Dass die Auseinandersetzung mit der Urfassung im Entwicklungsprozess eines Remakes allerdings aus mehr bestehen kann, als einer akkuraten, um ein paar Schmankerl erweiterten Nachbildung, darüber spricht Thomas Goik vom Kanal Hooked in diesem Video.
Was hängen blieb:
Das Video bietet einen interessanten Denkanstoß zu einem Thema, über das zumindest ich mir bis dato wenig Gedanken gemacht habe. Ausgangspunkt ist eine Debatte, die wir in anderen Kulturbereichen auch gelegentlich sehen (dort oft aus ganz anderen Gründen), und zwar der Frage nach der ‚Unantastbarkeit‘ eines Klassikers im Umgang mit seinen Neuauflagen. Statt um sprachliche Anpassungen geht es hier allerdings vor allem um Gameplay-Design und spielerische Längen: Sollten neu aufgelegte Spiele ‚gestrafft‘ und von ihren Unannehmlichkeiten befreit werden? Oder ermöglichen vielleicht gerade diese vermeintlichen Schwächen einen interessanten historischen Vergleich zur Veränderung von spielerischem Design? Fragen, die sich nicht final lösen lassen, die aber interessanten Stoff zum Nachdenken und Vertiefen bieten. Vielleicht werde ich darauf irgendwann noch mal zurückkommen…
Die Wikipedia der Aufklärung | Besser Wissen
Um was geht es?
Die Wikipedia ist die wahrscheinlich beeindruckendste Wissenssammlung der Menschheit und ein Leuchtturmprojekt für die Demokratisierung von Bildungszugängen und die Ideale der Aufklärung. Dabei hatte eben jene Epoche bereits ihre ganz eigene Encyclopédie: Das 1752 gestartete 35-bändige Mammutprojekt von Denis Diderot und Jean Le Rond d'Alembert wurde von den regierenden Mächten der Zeit ebenso gefürchtet wie geschätzt und vereinte in sich umfangreiches Wissen und subversive Gesellschaftskritik. Im Gespräch mit einer der Herausgeber:innen der deutschsprachigen Ausgaben, Anette Selg, geht der Golem-Podcast Besser Wissen der Geschichte des Projektes auf den Grund.
Was hängen blieb:
Die editorischen und geschichtlichen Einblicke von Herausgeberin Selg bieten eine interessante Perspektive auf das Selbstverständnis und die Intentionen hinter der Encyclopédie, sowie ihre Rezeption zur damaligen Zeit. Hervorzuheben war hier für mich vor allem die Doppelrolle des Werkes als eines, das den Zensoren der religiösen und staatlichen Mächte ein Dorn im Auge war, aber gleichzeitig im Privaten bisweilen als Prestigeobjekt ins eigene Regal gestellt wurde. Spannend waren auch Selgs Kommentare zur Systematisierung des Wissens in der Encyclopédie, das in einer Baum-Form dargestellt wurde, da von dieser ‚botanischen‘ Herangehensweise an die Strukturierung des Philosophierens auch später noch des Öfteren Gebrauch gemacht wurde.